Störungsbilder & Behandlungsmöglichkeiten
Störungen der kindlichen Sprachentwicklung im Bereich „Grammatik“ („Dysgrammatismus“)
Eine sog. „Sprachentwicklungsstörung“ - hier im Bereich der Grammatik - liegt dann vor, wenn Ihrem Kind Fehler unterlaufen, die nicht mehr der altersgerechten Sprachentwicklung (siehe unten „Phasen des Grammatikerwerbs) entsprechen.
Die Auswirkungen einer solchen Störung zeigen sich meist in der Beeinträchtigung des Sprachverständnisses (Probleme beim inhaltlichen Verstehen von Sätzen) und/oder der Beeinträchtigung der Sprachproduktion (Probleme beim selbstständigen Bilden von Sätzen).
Die betroffenen Kinder verstehen häufig die Bedeutung des Verbs für einen Satz nicht, sind sich unsicher bei der Bildung von Wörtern in der Mehrzahl, können mit Zeitformen nicht richtig umgehen oder haben Schwierigkeiten mit den Fällen ihrer Sprache.
Sofern die Entwicklung der grammatikalischen Fähigkeiten Ihres Kindes nicht „altersgemäß“ verläuft (siehe nächste Frage unten), dann können die folgenden „Auffälligkeiten“ auf einen Dysgrammatismus hindeuten:
- die fehlerhafte Stellung des Verbs im Satz
- Bsp.: „Der Junge Fußball spielt.“ statt „Der Junge spielt Fußball.“
- die inkorrekte Beugung des Verbs
- Bsp.: „Der Vogel fliegen.“ statt „Der Vogel fliegt.“
- Unsicherheiten bei der Verwendung von Artikeln bzw. das Fehlen von Artikeln
- Bsp.: „Das Junge“ oder „[…] Junge“ statt „Der Junge“
- die inkorrekte Anwendung der grammatikalischen Fälle
- Bsp. (Dativ): „Das Spielzeug gehört den Junge.“ statt „Das Spielzeug gehört dem Jungen.“
- Bsp. (Akkusativ): Auf die Frage „Wen hast du gesehen?“ antwortet Ihr Kind „Das Frau.“
- eine häufige (jedoch fehlerhafte) Verwendung der Hilfsverben „sein“ und/oder „haben“
- Bsp.: „Ich habe hingefallen.“ statt „Ich bin hingefallen.“
- Fehler bei der Bildung der Mehrzahlformen
- Bsp.: „viele Apfel“ statt „viele Äpfel“
- eine reduzierte Satzlänge
- Bsp.: „Schule gehen.“ statt „In die Schule gehen.“
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass das Vorliegen der o.g. Symptome keine eindeutige Diagnose darstellt; konsultieren Sie im Zweifelsfall den behandelnden Kinder- bzw. Hausarzt oder einen Logopäden
Der Erwerb von Kenntnissen der muttersprachlichen Grammatik findet in sog. „Phasen“ statt; diese beginnen innerhalb eines gewissen Alters und greifen wie folgt ineinander über:
- Phase 1: Vorläufer der Syntax
→ Alter: ca. zwischen 1;0 und 1;6 Jahren- In dieser ersten Phase des Grammatikerwerbs nutzt Ihr Kind hauptsächlich sog. „Einwortsätze“. Gegen Ende dieser Phase werden durch Wortwiederholungen „Kombinationssätze“ wie „Heia, heia“ gebildet.
- Phase 2: Erwerb des syntaktischen Prinzips
→ Alter: ca. zwischen 1;6 und 2;0 Jahren- Ungefähr zwischen 1;6 und 2;0 Jahren werden nun „echte“ Zweiwortsätze benutzt - diese erkennen Sie an der zunehmenden Verwendung von sog. „Inhaltswörtern“ (Substantive, Adjektive, Verben) sowie der Positionierung des ungebeugten Verbs am Satzende (z.B.: „Stuhl sitzen“).
- Phase 3: Vorläufer der einzelsprachlichen Grammatik
→ Alter: ca. zwischen 2;0 und 2;6 Jahren- Die von Ihren Kindern gesprochenen Sätze werden im Zuge dieser Phase allmählich länger (drei Worte und mehr), zudem wird das Verb nun an die zweite Stelle des Satzes gestellt und gebeugt, um grammatikalisch mit dem Subjekt übereinzustimmen – Bsp.: Ihr Kind sagt nicht mehr „Hund bellen“ sondern „(Der) Hund bellt“.
Mitunter können noch einige Satzglieder ausgelassen werden oder das Verb gelegentlich am Satzende stehen, allerdings geschieht dies immer seltener.
- Die von Ihren Kindern gesprochenen Sätze werden im Zuge dieser Phase allmählich länger (drei Worte und mehr), zudem wird das Verb nun an die zweite Stelle des Satzes gestellt und gebeugt, um grammatikalisch mit dem Subjekt übereinzustimmen – Bsp.: Ihr Kind sagt nicht mehr „Hund bellen“ sondern „(Der) Hund bellt“.
- Phase 4: Erwerb einzelsprachlicher syntaktischer Besonderheiten
→ Alter: ca. zwischen 2;6 und 3;0 Jahren- In dieser Phase sollte Ihr Kind dazu in der Lage sein, Sätze nach dem „Subjekt-Prädikat-Objekt-Prinzip“ - nach dem Sätze in der deutschen Sprache gebildet werden - selbstständig zu bilden:
Ihr Kind weiß um die Bedeutung des Verbs im Satz, wie es an das Subjekt angepasst (gebeugt) werden muss und an welcher Stelle im Satz es steht; dies gilt auch für mehrteilige Verben wie z.B. „Ich komme morgen wieder“ (ursprünglich zusammengesetztes Verb: wiederkommen).
Ebenso gelingt nach und nach die Anwendung der Zeitformen; auch der Erwerb der grammatikalischen Fälle einer Sprache beginnt in dieser Phase. Gelegentlich werden noch Satzglieder ausgelassen.
- In dieser Phase sollte Ihr Kind dazu in der Lage sein, Sätze nach dem „Subjekt-Prädikat-Objekt-Prinzip“ - nach dem Sätze in der deutschen Sprache gebildet werden - selbstständig zu bilden:
- Phase 5: Komplexe Sätze
- Der Übergang in diese letzte Phase ist ein fließender Prozess und beinhaltet den Abschluss des Erwerbs der grammatikalischen Fälle (Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ) des Deutschen.
Darüber hinaus beginnt Ihr Kind jetzt damit komplexere Sätze zu bilden: Diese bestehen aus Haupt- und Nebensätzen, verbunden durch sog. „Funktionswörter“ (Konjunktionen wie „und“ oder „weil“). Nachfolgend ein Beispiel für einen solchen Satz: „Hab‘ kein Lust, weil es regnet.“
- Der Übergang in diese letzte Phase ist ein fließender Prozess und beinhaltet den Abschluss des Erwerbs der grammatikalischen Fälle (Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ) des Deutschen.
Ein Kind, das unter einem „Dysgrammatismus“ leidet, ist nicht selbstständig dazu in der Lage, die Regeln und Merkmale der muttersprachlichen Grammatik aus dem Gesprochenen der Umwelt aufzunehmen und für sich anzuwenden.
Mögliche Ursachen umfassen: Ein Defizit in der auditiven Wahrnehmung (Hörwahrnehmung), eine Beeinträchtigung des auditiven Speichersystems bzw. des Arbeitsgedächtnisses (Verlust der Information vor der Abspeicherung im Langzeitgedächtnis) oder eine Schwäche in der Wahrnehmung für zeitliche Abfolgen und Rhythmik (beeinflusst die Wahrnehmung der Reihenfolge von Satzteilen).
Alternativ kann eine vorliegende Verzögerung der geistigen bzw. ganzkörperlichen Entwicklung ursächlich für eine Beeinträchtigung der Sprachentwicklung im Bereich der Grammatik sein.
Es bestehen derzeit keine gesetzlichen Verpflichtungen bzw. Vorgaben der Krankenkassen bezüglich der sprachtherapeutischen Behandlung kindlicher Sprachentwicklungsstörungen.
Es liegt jedoch in Ihrem eigenen Interesse bzw. dem Interesse Ihres Kindes, eine logopädische Therapie durchführen zu lassen – nicht nur ist eine Behandlung von Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen nach Beendigung des 18. Lebensjahres nicht mehr kostenfrei (Personen sind ab diesem Zeitpunkt „zuzahlungspflichtig“, siehe „Kosten einer logopädischen Therapie“), auch können sich die vorliegenden Störungen verfestigen und weitere Spätfolgen nach sich ziehen.
Neben den hörbaren Einschränkungen im Zuge der Satzbildung (inkorrekte Artikelnutzung, fehlerhafte Mehrzahlformen, verkürzte Sätze etc.) weisen Kinder mit unbehandelten Sprachentwicklungsstörungen im Bereich der Grammatik ein erhöhtes Risiko für die Ausprägung von Beeinträchtigungen in der Schriftsprache auf.
Insbesondere in Anbetracht von späteren schulischen Leistungsproblemen sollte dieser Aspekt bedacht werden, bevor Sie sich gegen eine Behandlung entscheiden.
Wenn Ihnen bei Ihrem Kind eine Störung der Sprachentwicklung auffällt, ist es - generell gesprochen - sinnvoll, eine möglichst zeitnahe logopädische Behandlung anzustreben.
Zunächst erfolgt eine ausführliche Diagnostik, in deren Zuge die sprachlichen Fähigkeiten Ihres Kindes in einer Reihe grammatikalischer Teilbereiche getestet werden, um die nachfolgenden Fragen zu beantworten:
- das Verständnis „syntaktischer Strukturen“
- Werden Anweisungen bzw. deren Abfolgen verstanden?
- das Verständnis von „W-Fragen“
- Können Fragen inhaltlich verstanden bzw. beantwortet werden?
- die Fähigkeit zur Satzproduktion zu Situationsbildern
- Kann Ihr Kind inhaltliche Zusammenhänge (Ursache→Folge) verstehen und wiedergeben?
- das Verständnis und die Wiedergabe einer Bildgeschichte
- Ist Ihr Kind dazu in der Lage, aufeinander aufbauende Handlungsfolgen zu verstehen und diese nachzuerzählen?
- die Verwendung von Artikeln
- Können bestimmte (der/die/das) und unbestimmte (ein/eine) Artikel korrekt verwendet werden?
- die Anwendung der Fälle des Deutschen
- Wie gelingt die Anwendung der Fälle, insbesondere die des Dativs (Wem-Fall) und des Akkusativs (Wen/Was-Fall)?
- die Bildung von Mehrzahlformen
- Werden die Veränderungen der Wortstruktur beachtet (Vokale→Umlaute; Bsp.: Vogel → Vögel / Anpassung der Wortendungen; Bsp.: Kind → Kinder) ?
Nach Abschluss der Diagnostik wird ein Therapieplan erstellt, der den weiteren Behandlungsverlauf strukturiert. Im Rahmen der nun stattfindenden Therapie wird Ihrem Kind durch gegenüberstellende Übungen und Spiele die Unterscheidung zwischen der fehlerhaften und korrekten Satzbildung verdeutlicht.
Die Therapieziele umfassen häufig:
- den Aufbau von „Mehrwortäußerungen“
- Erweiterung der Satzlänge
- die Verdeutlichung der „Subjektverwendung“
- Ein Satz benötigt ein Subjekt, um inhaltlich einen Sinn zu ergeben
- Bsp.: „schenkt Blumen“ ist nicht eindeutig, während „Die Frau schenkt Blumen.“ klar verständlich ist
- Ein Satz benötigt ein Subjekt, um inhaltlich einen Sinn zu ergeben
- die Verwendung des Verbs in der Zweitstellung sowie die Beugung des Verbs
- Bsp.: „Der Hund läuft ins Haus.“ („läuft“ ist die gebeugte Form des Verbs „laufen“ und durch die Beugung an das Subjekt „Hund“ grammatikalisch angepasst)
- die Unterstützung des Erwerbs der Zeitformen
- Hier ist insbesondere der Erwerb der Zeitform „Perfekt“ (vollendete Vergangenheit) als „Erzählform“ wichtig, denn wir nutzen häufig das Perfekt, um über Vergangenes zu berichten
- Bsp.: Ein Kind mit Dysgrammatismus wird „Ich gespielt.“ (sog. „Partizip II“) statt „Ich habe gespielt.“ (Perfekt) sagen
- Hier ist insbesondere der Erwerb der Zeitform „Perfekt“ (vollendete Vergangenheit) als „Erzählform“ wichtig, denn wir nutzen häufig das Perfekt, um über Vergangenes zu berichten
- die Einführung von „Funktionswörtern“
- Ihr Kind wird mit Hilfe dieser satzverbindenden Funktionswörter (z.B. Konjunktionen wie „und“ oder „weil“) darauf vorbereitet, längere Sätze zu bilden, die in inhaltlichem Zusammenhang stehen
- die Erarbeitung der „Subjekt-Verb-Umkehrung“ bei Fragen
- Im Deutschen steht bei Fragen häufig das Verb an der ersten Stelle
- Bsp.: „Fahren wir mit dem Auto?“
- Im Deutschen steht bei Fragen häufig das Verb an der ersten Stelle
- die Förderung des Verständnisses und der Anwendung von Vor- und Nachsilben sowie von mehrteiligen Verben
- Bsp.: „Ich lese dir vor.“ (ursprüngliches Verb: vorlesen; im Satz mehrteilig verwendet)
- die Unterscheidung der Fälle des Deutschen
- die Erarbeitung komplexer Satzstrukturen
- Verwendung von sog. „Satzgefügen“ bestehend aus Haupt- und Nebensätzen
- Bsp.: „Ich gehe nach Hause (Hauptsatz), weil es regnet (Nebensatz).“
- Verwendung von sog. „Satzgefügen“ bestehend aus Haupt- und Nebensätzen
Wenn Sie bzw. Ihr Kind häusliche Übungen nach der Therapie erhalten empfehle ich diese gemeinsam und in einer ruhigen bzw. störungsarmen Umgebung durchzuführen. Meist benötigen Sie für die Übungen nur ca. 10-15 Minuten Zeit und das gemeinschaftliche Lernen bindet Sie als Eltern indirekt in das Therapiegeschehen ein – so sind auch Sie immer auf dem neuesten Stand und Ihr Kind wird Spaß daran haben, Ihnen etwas Neues zeigen zu können.
Ebenso wichtig ist die Verdeutlichung des Ziels der Übungen: Es ist durchaus sinnvoll, dass auch Sie als Eltern Ihrem Sohn oder Ihrer Tochter die Bedeutung der Übungen für deren alltägliche Verständlichkeit nahelegen. Es geht nicht darum, für die Therapie bzw. den Therapeuten zu lernen, sondern in erster Linie für sich selbst.
Ein Beispiel für eine solche Verdeutlichung wäre die Betonung der korrekten Satzbildung für den Alltag (ein „richtig“ gesprochener Satz hilft bei der Verständigung mit Freunden im Kindergarten/in der Schule).
Schließlich kann es nicht schaden, eine kleine Belohnung für die Erfüllung einer Aufgabe bereitzuhalten; jedoch sollte diese stets in einem angemessenen Umfang erfolgen, damit nicht ausschließlich „für die Belohnung“ geübt wird.
Je nachdem, welche Symptome eines Dysgrammatismus bei Ihrem Kind vorliegen (z.B. fehlerhafte Artikelverwendung oder Probleme bei der Bildung von Mehrzahlformen), können Sie die Technik des „korrigierenden Wiederholens“ anwenden: Sagt Ihr Kind beispielsweise „Viele Vogel“ können Sie berichtigen „Da sind viele Vögel“, oder wenn Ihr Kind sagt „Die Mädchen“ wiederholen Sie „Das Mädchen“ – betonen Sie dabei jeweils die im Nachhinein durch Sie korrigierten Worte, die zuvor Fehler aufwiesen.
Achten Sie dabei auf ein „ausgewogenes Maß“: Zu häufig stattfindende Hinweise auf Fehler können demotivierend wirken, während das Fehlen von Hinweisen ebenfalls ungeeignet ist, da Kinder auf eine Rückmeldung der Personen ihres Umfeldes angewiesen sind, um eventuelle Fehler zu bemerken.
Es kann etwas Zeit in Anspruch nehmen, um dieses „Gleichgewicht“ zu finden, allerdings ist es für die Entwicklung Ihres Kindes innerhalb und außerhalb der Therapie von tragender Bedeutung.